Mittwoch, 25. September 2013

„Get a life!“



"Get a life!" meint eigentlich die nicht sonderlich freundliche Aufforderung, der Angesprochene möge sich doch lieber mit seinem eigenen Leben und nicht den Angelegenheiten anderer beschäftigen. Ich antworte derzeit nur mit "Got it". Ein Leben, furchtbar langweilig, mit Routinen und Alltag zweier in den USA berufstätiger Menschen.

Oder, ganz optimistisch: Endlich darf ich auch wieder das machen, was ich studiert habe! (Auch wenn ich die Zumba-Klassen vom Vormittag ein bisschen vermisse …) Obwohl ich nur ungefähr von kurz vor 11 bis halb eins unterrichte, bin ich meistens doch schon zwischen neun und halb zehn in der Schule, bereite Unterricht vor/ nach, korrigiere schnell noch etwas oder gebe Noten ins Online-Notenbuch ein. Ja, ihr habt richtig gelesen. Da haben übrigens auch die Eltern jederzeit Zugriff und können sehen, was ihr Sprössling so gemacht hat. Oder eben auch nicht.

Mündliche Noten gibt es hier gar nicht. Die Gesamtnote setzt sich bei mir zusammen aus 30% „Games“ (angekündigt und vorbereitet, entspricht in etwa Klassenarbeiten, alle 3-4 Wochen), 30% „Quizzes“ (einmal pro Woche, Stoff der letzten Stunde(n), kann angekündigt sein, muss aber nicht) und 40% „Daily Work“ (Hausaufgaben, Übungen zu Hausaufgaben, kleinere Projekte) – und um ehrlich zu sein, finde ich dieses System gar nicht so schlecht, weil man so immer etwas Konkretes hat und sich Notendiskussionen auf diese Weise erledigen. Die einzigen Diskussionen rankten sich bislang um die Frage „Can I retake the test?“ Japp, die pädagogische Freiheit hätte ich. Wobei es dann meistens darum geht, von 88% auf über 90%, am besten nah an 100% der Punkte zu kommen. Japp, so ehrgeizig ist mein honors-Track.

Ach so – weil ich Bonuspunkte angeboten habe, gibt es zumindest für das erste „Game“ keine Wiederholungsmöglichkeit. Meine deutsche Paukerseele muss sich auch erst einmal an diese Freiheiten gewöhnen … Und gleichzeitig doch irgendwie konsequent bleiben. Weil das Schuljahr zu allem Überfluss auch noch mit jeder Menge Wiederholung anfängt – vor allem in Klasse 8, ist es nicht ganz leicht, die Stimmung zu halten. Allgemein hab ich das Gefühl, mit Klasse 7 besser auszukommen, was mich ein bisschen wundert, denn normalerweise komme ich mit den jungslastigen Klassen besser klar. In Klasse 7 sind das aber nur 4 von 15 …

Bevor ich jetzt wieder zu textlastig werde, wechsle ich lieber das Thema!

Die Bauern haben sich schon mit einer miesen Ernte für dieses Jahr abgefunden – da macht es fast nichts, dass der Regen fehlt und wir einen wahren Indian Summer hier erleben. Sonnenschein und blauer Himmel bei sich langsam verfärbenden Blättern – da muss man das Sprichwort abändern und vom goldenen September sprechen!

Im Oktober hat Alex viele Konferenzen, so nutzen wir jetzt die Wochenenden und das schöne Wetter aus, um die nähere Umgebung zu erkunden. In Rochester oder bis zu etwa einer Stunde entfernt.

Anfang September hatte Assisi Heights Tag der offenen Tür – Haus des lokalen Franziskanerinnenordens (dritter Ordnung, also überwiegend säkular). Weil die Anlage auf einer Anhöhe liegt, kann man sie in Rochester gut weithin sehen, aber wir konnten jetzt auch ganz nah ran.

Assisi Heights
  
Außerdem haben wir unsere Räder mal stehen lassen und sind zu Fuß eine Runde um den Silver Lake gelaufen, der ja nun wirklich direkt vor unserer Haustür beginnt (auf der anderen Seite des Broadway). Das Licht war zwar nicht ganz so gut, weil die Sonne noch recht hoch stand, aber es fällt mitunter wirklich schwer zu glauben, dass man fast mitten in der Stadt ist – so gefühlt ganz allein unter Gänsen. (Die Gänsepopulation ist dank Herbstmigration zur Zeit noch größer als sonst.)




Und letzten Sonntag sind wir dann noch einmal nach Osten an bzw. hoch über den Mississippi gefahren – in den Great River Bluffs State Park (müssen unsere Jahreskarte für die State Parks schließlich ausnutzen!). Herrliche Aussicht, vernünftige Wanderwege – oder vielleicht waren das doch nur meine neuen Schuhe. Oder wie Alex es sagte: „Man merkt, dass du vernünftige Wanderbotten hast, du läufst ganz anders, vor allem schneller.“

the Great River - Mississippi

Einmündung des Black River (eigentlich ein Delta, mangels Regen ...)

Hiking Trail zum King's Bluff

Aussicht über den King's Bluff - Seele baumeln lassen

*seufz*

Zum Abschluss: Suchbild mit Grashüpfer - bestimmt 2 inch lang, das Viech!
 
Zuvor waren wir am Freitag abend in der Innenstadt von Rochester beim hiesigen Oktoberfest. 20 Dollar Eintritt bei 3 Dollar Verzehrgutschein und Livemusik, außerdem darf man überall mal probieren. Überall = Stände von verschiedenen Brauereien, manche groß (Schell’s), manche micro brewery. Einige Winzer hatten sich auch dazwischen verirrt. Zum Aufsaugen des Alkohols gab es "German food" (*hust*), z.B. pretzel sticks (Laugenstangen) oder bratwurst with kraut and mashed potatoes … Mitte Oktober ist das Oktoberfest dann in New Ulm, dem Ruf nach die deutscheste aller Städte hier in Minnesota. Wir wollten da eigentlich mal hingucken, zwei Stunden Fahrt von hier sind’s – wir sind gespannt!


Einmal die Woche bin ich jetzt auch wieder auf der Lerner-Seite: Spanish class at Community Ed! Sra. Hidalgo und ihre tapferen Recken … Mit mir sind nur drei aus dem letzten Kurs zu Spanisch 2 „aufgestiegen“, der Rest ist Quereinsteiger. Ich hoffe, es geht im Frühjahr mit Spanisch 3 weiter, wäre blöd, wenn nicht. Denn es macht (immer noch) Spaß!

Samstag, 7. September 2013

First day(s) of school



Fast einen Monat ohne Blogeintrag, da hat wohl der Schlendrian Einzug gehalten. Oder der Heimaturlaub mit anschließendem Stellenantritt. Mittlerweile sind es zwei Wochen, die ich nun wieder unterrichte … back to business, wieder eingeschult oder einfach nur endlich wieder das, was ich gelernt habe …





Okay, wo fange ich an, wenn es darum geht, von meinen ersten Tagen Schule zu berichten ... Am besten bei Schule und Klasse(n) – im Stil eines Unterrichtentwurfs. *diabolisch grins*



Die Lerngruppen

Die Schule ist katholisch, das habe ich wohl oft genug erwähnt,  und hat ihren Namen von der gleichen Person wie auch der Papst. Sie wird von SuS vom Kindergarten (= die deutsche Vorschule) bis zur 8. Klasse besucht oder kurz K-8 – außerdem gibt es noch die preschool (= der dt. Kindergarten). Die ganz Kleinen müssen aber im Gegensatz zu K-8 keine Uniform tragen. Die Altersstufen sind ähnlich wie in Deutschland, d.h. am Ende der 8. Klasse sind alle 14 geworden.



Ich unterrichte in der junior high-Abteilung der Schule in den Klassen 7 und 8. Und da nicht alle, sondern nur auf advanced level oder honors oder AP – kurzum: die Elite. Um die lieben Gymnasialkollegen unter meinen Lesern mal richtig neidisch zu machen und das in etwa zu vergleichen: Stellt euch einen Leistungskurs vor, in dem alle leisten können und wollen. Dazu mit jeweils nur 14 bzw. 15 Schülern. Kurzum: Ein Traum der homogenen, leistungswilligen Lerngruppe! Die ideale Prüfungsklasse jedes Referendars! Naja, mit gelegentlichen pubertären Ausfallerscheinungen darf gerechnet werden – da gibt es keinen Unterschied .



Zu Didaktik und Methodik

Fangen wir mal mit schulsystembedingten Unterschieden an, die die Grundvoraussetzungen bedingen … Standardisierte Tests, meistens mit Multiple-Choice-Fragen, sind in den USA Standard (höhö) – Bildung soll so messbar, vergleichbar, kurzum evaluierbar sein. Und die katholischen Schulen schneiden hier traditionell gut ab. Was mir als sub teacher schon auffiel und jetzt noch viel mehr: Rechnen können sie alle (Und wie! Etwa so schnell wie ich!), aber Kreativität, Lösungen erklären können … Das bleibt da ein wenig auf der Strecke. Aber nicht mit mir! „I love explanations!“ sage ich gerne mit einem gefährlichen Funkeln in den Augen, das insbesondere die achte Klasse mittlerweile zu fürchten gelernt hat. Und anwendungsorientiert versuche ich auch zu arbeiten, was bei purer Algebra (in Klasse 7 lineare Gleichungen und Funktionen, in Klasse 8 wird es dann quadratisch und exponentiell) nicht immer ganz leicht ist. Naja.



Es gibt Online-Zugriff auf die Schulbücher (was echte Klopper sind), so dass die nicht mit nach Hause geschleppt werden müssen. Und mittels Smartboard im Klassenraum kann ich die Buchseite auch gleich für alle lesbar an die Wand projizieren. Notenverwaltung – auch alles online (mit Zugriff für die Eltern!). Und ich hab die Einführungswoche verpasst und muggel mich gerade selbst durch die Programme – am Schuljahresanfang haben auch die sonst sehr hilfsbereiten Kollegen ihren eigenen Kram zu erledigen …



Das erste Kapitel im Buch ist jetzt gerade übrigens nur Review … Da sich das nicht unbedingt aus dem Curriculum erschließen ließ, hänge ich gerade noch ein bisschen in der Luft, wenn Sachen nicht so neu sind, wie ich dachte, sondern doch nur Wiederholung sind – ups!



Das ganze administrative Zeug ist eine Sache, weshalb mir diese Teilzeitstelle (30%) erst einmal vollkommen ausreicht – da muss ich zurzeit nämlich auch noch jede Menge nachholen. Zum anderen finde ich die Tätigkeit auch deshalb voll erschöpfend, weil mein Hirn in den zwei Unterrichtsstunden pro Tag (immer gleich von 10:55 bis 12:30, zuerst die 7., dann die 8.) auf 110% läuft: neue Mathevokabeln, Dinge auf Englisch erklären, Aufgabenstellungen sicherheitshalber doppelt und dreifach lesen, Schülerfragen verstehen … *hechel* Ich bin danach echt alle! Aber würde ich mir den Job nicht zutrauen, hätte ich mich nicht beworben und würde mir nicht zugetraut werden, dass ich den Unterricht auf Englisch packe, hätte ich den Job nicht bekommen (ich weiß, dass es andere Bewerber gab). Naja, ich bin noch nicht wieder bei 100% meiner selbst als Lehrerin, aber auf dem Weg dahin: steep learning curve und so …



Das Drumherum

Ich hatte ja schon erwähnt, dass der Dresscode hier etwas strenger ausfällt. Für den deutschen Junglehrerdress aus Bluse/Hemd und Jeans habe ich letzten Freitag als non  uniform day abwarten müssen. Stoffhose oder Rock ist Pflicht, um als professionell gekleidet durchzugehen. Aber das macht mir eigentlich nichts.

Meinen Klassenraum im Keller/Souterrain des junior high-Traktes teile ich mir mit der Spanischlehrerin, die nachmittags dort unterrichtet. Und während meine Klassen ja recht klein sind, stehen doppelt so viele Tische im Raum, denn in Spanisch sitzen mehr als 25 Schüler drin. Naja, das erleichtert es mir, in deren quatschigen Momenten den Plappermäulern für den Rest der Stunde einen anderen Sitzplatz anzubieten … Bislang reichte das Angebot aus, um Weiterquatschen zu unterbinden. Da sind die Schüler echt auf Zack – jahreslanges Training macht es möglich, dass die Klassendisziplin deutlich höher ist als bei manchem Chaoshaufen, den ich zuvor in Deutschland unterrichtete …

Die Kollegen sind auch sehr nett, am engsten arbeite ich mit den „Klassenlehrern“ der je zwei 7. und 8. Klassen zusammen. In zehn Tagen fährt die junior high komplett nach Eagle Bluff, etwa eine Stunde südlich von Rochester zum Erlebnispädagogikpaket mit zwei Übernachtungen.



Als letztes Stichwort: Lehrerlizenz. Ich bin jetzt erst einmal auf Grundlage meiner deutschen Ausbildung eingestellt worden, soll mich aber auch um die Lizenz in Minnesota kümmern – die Auflagen dazu sind deutlich strenger als z.B. in Texas. Nächste Woche melde ich mich einmal beim Board of Education und schaue, ob ich um die professionelle Evaluation herumkomme, oder ob sie nötig sein wird. Die Liste aller Kurse, die zum Ablegen des Staatsexamens nötig waren, habe ich in Halle netterweise unterschrieben und gestempelt bekommen (zusammengestellt hab ich die zweisprachig gleich selbst) – mit dem Staatsexamen kriegt man das ja nicht. Es wird aber definitiv noch ein Haufen Papierkram fällig werden … *seufz* Und die Verlängerung meiner Arbeitserlaubnis werde ich auch bald noch beantragen müssen. Kostet alles Zeit und Geld – ist wie das Visum. *seufz*





Sorry für die Theorielastigkeit dieses Postings. Wer mehr wissen möchte, was meinen Schulalltag betrifft, darf gerne nachfragen oder kommentieren – für mich ist inzwischen sonnenklar, was Außenstehenden vielleicht nicht verständlich ist …