Dienstag, 4. September 2012

On the beach




Während sonst auf der Welt (außer in Japan) der Tag der Arbeit am 1. Mai gefeiert wird, ist in den USA der erste Montag im September „Labor Day“ und gleichzeitig offizielles Ende des Sommers (während der Memorial Day am letzten Montag im Mai ihn eröffnet). Da die meisten Amerikaner nur 10 bezahlte Urlaubstage haben, sind diese langen Wochenenden für Kurztrips natürlich sehr beliebt. Viele Houstonians zieht es runter an den Golf von Mexiko, so auch uns.

Am Sonntag folgten wir der Einladung von Autons zu deren Familientreffen nach Surfside Beach, eine kleine (überwiegend) Rentnersiedlung in der Nähe von Freeport, vom Golf nur durch einen eher niedrigen Deich getrennt. Die Bauweise des Hauses auf Stelzen passt sich den Erfordernissen der Hurrikan geplagten Golfküstenregion an: „Niemand lagert unten etwas Wichtiges – dort parken nur Autos oder lagern Strandsachen.“ Hurrikan Ike, der 2008 verheerende Schäden zwischen Golf und Houston anrichtete, ist noch spürbar im Gedächtnis der Leute. Doch dazu später mehr.

In Surfside Beach lernten wir also noch einige Personen mehr aus Stephs großer Familie kennen, darunter auch ihre Eltern und deren Geschwister – kurzum: Wir senkten den Altersdurchschnitt enorm! Hatte Alex am Vorabend noch empfohlen, lieber nicht über Politik zu diskutieren, waren wir plötzlich mittendrin. Denn die Familie selbst ist auch gespalten: In Demokraten wie Stephs Vater, 66-Jähriger Posaunist, Musiker und Charmeur, der einen roten (neuen) VW-Beetle mit etlichen Pro-Obama-Aufklebern fährt. Auf der anderen Seite dann Stephs Onkel Don, ehemals (soweit ich es verstanden habe) bei der US Army (und daher) Republikaner.
[Kurzer Exkurs: Der Parteitag der Republikaner in der letzten Woche wurde jeden Abend in voller Länge auf ALLEN Hauptsendern übertragen, die wir mit unserer digitalen Antenne bekommen. Der Parteitag der Demokraten im gleichen Ausmaß nur vom hiesigen PBC-Abkömmling (entspricht am ehesten den öffentlich-rechtlichen), die Hauptrede von Obama und Biden am Donnerstag auch von NBC. Immerhin …  - Parteilichkeit? Meine Bildung hab ich aus dem Fernsehen? - Fällt nur uns Europäern als externen Beobachtern das auf?]

So oder so, wir hatten gutes texanisches Essen (und den Rest davon gestern abend) und die seltsame braune Pampe, die ich mir ganz mutig auf die Tortillas schmierte, hat sich als leckere Bohnenpaste entpuppt. Mit Lichtschutzfaktor 50 waren wir dann gegen Abend am Strand. Hurrikan Isaac hat Texas zwar komplett verschont, statt blau bis grün wie sonst kam das Wasser durch den vielen lockeren Sand nur aber sehr, sehr braun an Land. Und auf unerklärliche Weise habe ich in fünf Minuten Rückweg zwischen Strand und Veranda ebenso viele Mücken angezogen. Hatte ich schon erwähnt, dass deren Stiche bei mir gerne einmal eine selbstheizende, geschwollene rote Fläche mit Radius von bis zu zehn Zentimetern ausbilden?

Gestern, am freien Montag, ging es dann nur mit Autons nach Galveston. Beide haben dort gewohnt, geheiratet und gearbeitet, ehe Hurrikan Ike im September 2008 deren Haus abdeckte, gründlich unter Wasser setzte, Steph ein neues Knie bescherte (auf nasser Treppe ausgerutscht) und somit letztendlich für deren Umzug sorgte. In den letzten vier Jahren wurde zwar Vieles wieder aufgebaut, aber für Matt und Steph hat sich Galveston nicht zum Vorteil verändert: Es ist nun noch mehr auf Touristen ausgerichtet. Statt vieler verschiedener Restaurants bieten alle entlang des Seawalls, der nach dem 1900-Sturm aus Beton gegossenen Strandpromenade, in etwa das Gleiche an. Der Charme fehlt, viele der alten, gleich nach 1900 wieder errichteten viktorianischen Villen stehen immer noch leer und verfallen zusehends. Nur manche, vor allem nahe des Stadtzentrums, der Bummelmeile „The Strand“ strahlen wieder im alten Glanz. Auffällig für die beiden ist auch, dass die Mittelschicht nach Ike weggebrochen ist: Die Reichen haben Galveston gekauft, indem sie den Wiederaufbau finanzierten; die Armen konnten es sich nicht leisten, wegzugehen. Und so ist Galveston, bis 1900 prospierende größte Stadt Texas‘, heute nur noch ein Seebad für Houstonians (wie uns).

Im Fish Tales haben wir sehr gut zu Mittag gegessen und ich war erstaunt, wie geduldig die Kellner mit dem Chaos waren, das entsteht, wenn außer vier Erwachsenen noch eine sechsjährige Dramaqueen und eine zehnmonatige furchtlose Grinsebacke  mit am Tisch sitzen. (Gleichzeitig waren Autons sehr erfreut über unsere Geduld mit ihnen. Aber der Grinsebacke kann man nicht widerstehen, vor allem nicht, weil sie Alex total anhimmelt.) Danach haben wir uns noch ganz touristisch ein überdachtes Vier-Personen-Fahrrad gemietet und sind ein wenig den Seawall entlang gestrampelt. Eine Stunde hat aber auch gereicht, körperliche Betätigung jeder Art bei 35°C sollte nicht länger als nötig ausgeübt werden.

Was vom Wochenende bleibt: Ein leicht rotbrauner Arm, der vom Dach des Fahrrads nicht erfasst wurde. Ein blauer Fleck am linken Knie, weil ich zu groß für die Rückbank des Fahrrads war und das Knie nicht immer weit genug weggedreht habe. Und ein böses Erwachen heute früh: Einer der fünf Mückenstiche an meiner Schläfe ist mit einem Tag Verspätung so stark angeschwollen, dass es bis zum Auge reicht. Zumindest vermute ich das als Ursache. Und außerdem noch Fotos als Beweis dafür, dass Labor Day hier in und um Houston noch längst nicht das Ende des Sommers ist …



Zum Nachlesen der Auswirkungen von Ike 2008 und den "1900 storm" auf Galveston und den Golf:
http://de.wikipedia.org/wiki/Hurrikan_Ike und
http://de.wikipedia.org/wiki/Galveston-Hurrikan_%281900%29

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