Während sonst auf der Welt (außer in Japan) der Tag der Arbeit am 1. Mai
gefeiert wird, ist in den USA der erste Montag im September „Labor Day“ und
gleichzeitig offizielles Ende des Sommers (während der Memorial Day am letzten
Montag im Mai ihn eröffnet). Da die meisten Amerikaner nur 10 bezahlte
Urlaubstage haben, sind diese langen Wochenenden für Kurztrips natürlich sehr
beliebt. Viele Houstonians zieht es runter an den Golf von Mexiko, so auch uns.
Am Sonntag folgten wir der Einladung von Autons zu deren
Familientreffen nach Surfside Beach, eine kleine (überwiegend) Rentnersiedlung in der
Nähe von Freeport, vom Golf nur durch einen eher niedrigen Deich getrennt. Die Bauweise
des Hauses auf Stelzen passt sich den Erfordernissen der Hurrikan geplagten
Golfküstenregion an: „Niemand lagert unten etwas Wichtiges – dort parken nur
Autos oder lagern Strandsachen.“ Hurrikan Ike, der 2008 verheerende Schäden
zwischen Golf und Houston anrichtete, ist noch spürbar im Gedächtnis der Leute.
Doch dazu später mehr.
In Surfside Beach lernten wir also noch einige Personen mehr
aus Stephs großer Familie kennen, darunter auch ihre Eltern und deren
Geschwister – kurzum: Wir senkten den Altersdurchschnitt enorm! Hatte Alex am
Vorabend noch empfohlen, lieber nicht über Politik zu diskutieren, waren wir
plötzlich mittendrin. Denn die Familie selbst ist auch gespalten: In Demokraten
wie Stephs Vater, 66-Jähriger Posaunist, Musiker und Charmeur, der einen roten (neuen)
VW-Beetle mit etlichen Pro-Obama-Aufklebern fährt. Auf der anderen Seite dann
Stephs Onkel Don, ehemals (soweit ich es verstanden habe) bei der US Army (und
daher) Republikaner.
[Kurzer Exkurs: Der Parteitag der Republikaner in der
letzten Woche wurde jeden Abend in voller Länge auf ALLEN Hauptsendern übertragen,
die wir mit unserer digitalen Antenne bekommen. Der Parteitag der Demokraten im
gleichen Ausmaß nur vom hiesigen PBC-Abkömmling (entspricht am ehesten den
öffentlich-rechtlichen), die Hauptrede von Obama und Biden am Donnerstag auch
von NBC. Immerhin … - Parteilichkeit?
Meine Bildung hab ich aus dem Fernsehen? - Fällt nur uns Europäern als externen
Beobachtern das auf?]
So oder so, wir hatten gutes texanisches Essen (und den Rest
davon gestern abend) und die seltsame braune Pampe, die ich mir ganz mutig auf
die Tortillas schmierte, hat sich als leckere Bohnenpaste entpuppt. Mit
Lichtschutzfaktor 50 waren wir dann gegen Abend am Strand. Hurrikan Isaac hat
Texas zwar komplett verschont, statt blau bis grün wie sonst kam das Wasser
durch den vielen lockeren Sand nur aber sehr, sehr braun an Land. Und auf
unerklärliche Weise habe ich in fünf Minuten Rückweg zwischen Strand und Veranda ebenso
viele Mücken angezogen. Hatte ich schon erwähnt, dass deren Stiche bei mir
gerne einmal eine selbstheizende, geschwollene rote Fläche mit Radius von bis
zu zehn Zentimetern ausbilden?
Gestern, am freien Montag, ging es dann nur mit Autons nach
Galveston. Beide haben dort gewohnt, geheiratet und gearbeitet, ehe Hurrikan Ike im
September 2008 deren Haus abdeckte, gründlich unter Wasser setzte, Steph ein
neues Knie bescherte (auf nasser Treppe ausgerutscht) und somit letztendlich
für deren Umzug sorgte. In den letzten vier Jahren wurde zwar Vieles wieder
aufgebaut, aber für Matt und Steph hat sich Galveston nicht zum Vorteil
verändert: Es ist nun noch mehr auf Touristen ausgerichtet. Statt vieler
verschiedener Restaurants bieten alle entlang des Seawalls, der nach dem
1900-Sturm aus Beton gegossenen Strandpromenade, in etwa das Gleiche an. Der
Charme fehlt, viele der alten, gleich nach 1900 wieder errichteten
viktorianischen Villen stehen immer noch leer und verfallen zusehends. Nur
manche, vor allem nahe des Stadtzentrums, der Bummelmeile „The Strand“ strahlen
wieder im alten Glanz. Auffällig für die beiden ist auch, dass die
Mittelschicht nach Ike weggebrochen ist: Die Reichen haben Galveston gekauft,
indem sie den Wiederaufbau finanzierten; die Armen konnten es sich nicht leisten,
wegzugehen. Und so ist Galveston, bis 1900 prospierende größte Stadt Texas‘,
heute nur noch ein Seebad für Houstonians (wie uns).
Im Fish Tales haben wir sehr gut zu Mittag gegessen und ich
war erstaunt, wie geduldig die Kellner mit dem Chaos waren, das entsteht, wenn
außer vier Erwachsenen noch eine sechsjährige Dramaqueen und eine zehnmonatige furchtlose
Grinsebacke mit am Tisch sitzen. (Gleichzeitig
waren Autons sehr erfreut über unsere Geduld mit ihnen. Aber der Grinsebacke
kann man nicht widerstehen, vor allem nicht, weil sie Alex total anhimmelt.)
Danach haben wir uns noch ganz touristisch ein überdachtes
Vier-Personen-Fahrrad gemietet und sind ein wenig den Seawall entlang gestrampelt.
Eine Stunde hat aber auch gereicht, körperliche Betätigung jeder Art bei 35°C
sollte nicht länger als nötig ausgeübt werden.
Was vom Wochenende bleibt: Ein leicht rotbrauner Arm, der
vom Dach des Fahrrads nicht erfasst wurde. Ein blauer Fleck am linken Knie,
weil ich zu groß für die Rückbank des Fahrrads war und das Knie nicht immer
weit genug weggedreht habe. Und ein böses Erwachen heute früh: Einer der fünf
Mückenstiche an meiner Schläfe ist mit einem Tag Verspätung so stark
angeschwollen, dass es bis zum Auge reicht. Zumindest vermute ich das als
Ursache. Und außerdem noch Fotos als Beweis dafür, dass Labor Day hier in und
um Houston noch längst nicht das Ende des Sommers ist …
Zum Nachlesen der Auswirkungen von Ike 2008 und den "1900 storm" auf Galveston und den Golf:
http://de.wikipedia.org/wiki/Hurrikan_Ike und
http://de.wikipedia.org/wiki/Galveston-Hurrikan_%281900%29
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